Das kann ja schließlich jedem ständig mal passieren

Und überhaupt… von Willy Oevermann

„Wenn der Wunderstürmer in der zweiten Spielminute voll am Ball vorbeidrischt oder der Rückraumspieler seinen ersten Wurf einen Meter über’s Tor nagelt, ist das ärgerlich – aber auch menschlich: Nervosität, Angespanntheit, Lampenfieber. Da gibt es genügend gute Beispiele. Nehmen wir mal den Van Morrison. Der nordirische Musiker, Songwriter und Sänger („Gloria“, „Brown Eyed Girl“) steht seit den 60er Jahren auf allen Bühnen der Welt und hat noch immer extremes Lampenfieber. Der Blickkontakt mit dem Publikum macht ihn ängstlich, lässt ihn seinen Songtext vergessen, und so wundert’s nicht, dass er sehr häufig seinen Fans den Rücken zukehrt. Sieht sehr unhöflich aus – aber was soll der arme Junge machen? Beim Abschiedskonzert einer Band weigerte Van sich sogar, auf die Bühne zu gehen, als sein Name bekannt gegeben wurde. Sein Manager musste ihn quasi dahin schubsen. Van wurde jüngst 80, das Fieber blieb.

Paradebeispiel von innerem Druck und Nervosität ist der 100-Meter-Lauf bei der Olympiade in Seoul 1998. Mit dem Wettlauf wird die Königsdisziplin der Leichtathleten eingeläutet und so begab sich auch Jürgen Hingsen zu den Startblöcken. Der dreimalige deutsche Weltrekordhalter war der Goldmedaillenfavorit neben dem Briten Daley Thompson und wollte gleich mit seinem ersten Sprint sich und der Konkurrenz ein eindrucksvolles Zeichen setzen, und so  fabrizierte er nacheinander zwei Fehlstarts. Ein dritter drohte, das bittere Fiasko zu besiegeln – und es passierte genau das. Hingsen wurde disqualifiziert, bevor er überhaupt einen einzigen Wettkampf abgeliefert hatte.

Dann gibt’s da noch den 66-jährigen Rentner Erwin Lindemann, der im Lotto 500.000 D-Mark gewonnen hat und nun vor der Kamera erzählen will, dass er von seinem Lottogewinn als erstes eine Reise nach Island machen möchte, anschließend mit seiner Tochter nach Rom zu einer Papst-Audienz reisen und im Herbst in Wuppertal eine Herren-Boutique eröffnen will. Die Probe ohne Kamera läuft prima, aber kaum dass sie läuft, gibt es eine Störung nach der anderen und Erwin wird so nervös, dass er schließlich verkündet: „Ich heiße … na! … Erwin … ich heiße Erwin und bin Rentner. Und in 66 Jahren fahre ich nach Island … und da mache ich einen Gewinn von 500.000 D-Mark … und im Herbst eröffnet dann der Papst mit meiner Tochter eine Herren-Boutique in Wuppertal!“ Der Regisseur sagt nur noch: „Danke … das war’s!“ und wir wissen seitdem:  Das kann ja schließlich jedem ständig mal passieren.

Denn was auch der/dem kleinen Frau/Mann in puncto Aufregung widerfahren kann, zeigt ein kleiner Filmausschnitt, der vor einigen Jahren viral ging. Da hält ein Reporter in einer Fußgängerzone einer Passantin sein Mikro unter die Nase und fragt: „Welcher ist denn Ihr Lieblingsfilm?“ Sie antwortet: „Dorty Dincing!“ Er: „Wie bitte?“ Sie: „Dorty Dincing!“ Er: „Ach so! Sie meinten: Dirty Dancing!“ Sie, sichtlich erleichtert: „Ja! Dongsi Dängsi!“

Im April 2025 bat mich die OHV-Vorsitzende Insa Schubert – ohne irgendeine klitzekleine Vorwarnung – zu sich auf die Spielfläche der rappelvoll besetzten Sparkassen-Arena. Und ich bin ihr im Nachhinein sowas von dankbar, dass sie mir nach ihrer langen, tollen, bewegenden, lobenden Dankesrede keine einzige Frage gestellt und erst recht nicht das Mikrofon in die Hand gedrückt hat. Völlig perplex hätte ich  wahrscheinlich „Dongsi Dängsi“ gestammelt, und das würde noch heute und bis in alle Ewigkeit in Aurich die Runde machen.

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